Wird das Stromnetz die kleine Schwester der E-Mobilität? Ein Beitrag von Johannes Lackmann

Im Straßenverkehr sind bislang Verbrennungsmotoren, die mit Diesel oder Benzin betrieben wurden, die treibende Kraft. Das wird sich ohne jeden Zweifel in Zukunft rapide ändern. Die Automobilhersteller investieren in den nächsten Jahren zig Milliarden in die Entwicklung und Ausbau insbesondere der E-Mobilität. Der größte unter ihnen – VW – will bis 2030 allein sechs Gigafabriken für die Produktion von Batterien mit einer Kapazität von 240 GWh pro Jahr aufbauen. Das sind 240 Millionen Kilowattstunden Speicherkapazität in Form von E-Auto-Batterien. Warum sollten wir riesige Stromspeicher wie z. B. Pumpspeicherkraftwerke bauen, wenn die Stromspeicher von Morgen demnächst millionenfach vor unserer Haustür parken?

Vergleichen wir mal die Dimensionen der beiden E-Systeme:

Wir haben in Deutschland eine installierte Kraftwerksleistung von 90 GW. Auf deutschen Straßen fahren heute 57 Millionen Autos mit mindestens 60 kW Leistung. Das ist eine Motorleistung von 3.420 GW. Die deutsche Autoindustrie baut derzeit in zwei Monaten eine Motorleistung von über 90 GW, also pro Jahr die sechsfache Leistung aller deutschen Kraftwerke.

Wir können davon ausgehen, dass ein großer Teil dieser Verbrennerleistung künftig als E-Motorleistung zur Verfügung stehen wird. Dabei ist die elektrische Motorleistung selbst für das Stromsystem uninteressant. Aber verbunden mit der Motorleistung steht die gleiche Leistung an Umrichtern und Batterieleistung zur Verfügung. Auch wenn man unterstellt, dass sich das Mobilitätsverhalten ändern wird, wird die in PKW vorgehaltene E-Leistung die des Stromsystems um das 30-fache übertreffen.

Für das Stromsystem ist dabei vor allem interessant, welche Arbeitskapazität (Leistung x Zeit) damit verbunden sein wird. Die Deutschen werden voraussichtlich auch in Zukunft die Reichweite ihrer Autos nicht nach ihrem täglichen Bedarf planen, sondern eher am Maximalbedarf wie Urlaub etc. ausrichten. Das bedeutet, dass regelmäßig ein Großteil der Kapazität nicht für die Mobilität gebraucht wird und für Netzfunktionen zur Verfügung stehen könnte. Die in den Fahrzeugbatterien gespeicherte Energie könnte zu Zeiten erhöhten Energiebedarfs wieder ans Stromnetz zurückgegeben werden. Dieses Prinzip nennt sich Vehicle-to-Grid – kurz VtG.

PKW mit einer Jahresfahrleistung von 15.000 km stehen etwa 97 % der Jahreszeit irgendwo herum und könnten in dieser Zeit weitgehend mit dem Netz verbunden sein. Bei Berufspendlern mit PKW wäre das tagsüber der Firmenparkplatz und nach Feierabend der Platz vor der Haustür. Inzwischen zeigt die Praxis der E-Fahrzeuge, dass die Batterielebensdauern schon heute bei sorgfältigem Gebrauch viel länger sind, als man es zunächst erwartet hatte.

Wir können davon ausgehen, dass die Batteriekapazität bezogen auf die Motorleistung mindestens 1 Volllaststunde beträgt, also ein 60 kW-Motor entspricht damit 60 kWh Batteriekapazität. Geht man davon aus, dass Carsharing-Modelle und autonomes Fahren zunehmend eine Rolle spielen werden, verbliebe eine Batteriekapazität von ca 2.700 GWh, die zum großen Teil nicht für die täglichen Fahrleistungen gebraucht wird.

Als notwendiges Anreizsystem, dieses Potenzial für das Stromnetz zu erschließen, braucht es stark dynamisierte Strompreise, wie sie etwa der VZBV (Verbraucherzentralen Bundesverband) jetzt vorgeschlagen hat. Dynamische Strompreise, die bei knappem Stromangebot hoch und bei Stromüberschuss niedrig sind, würden den Gebrauch der Batteriekapazität für das Stromnetz wirtschaftlich attraktiv machen.

Wenn wir mal unterstellen, dass auf Basis stark dynamischer Strompreise in der Dunkelflaute nicht 90 GW an Versorgungsleistung gebraucht werden, sondern etwa nur 1/3 also 30 GW, weil der Stromverbrauch bei hohem Preis stark zurückgeht und wir weiter unterstellen, dass von der Batteriekapazität (2.700 GWh) 50 % für Netzfunktionen zur Verfügung stehen, ergibt sich eine Überbrückungszeit von 45 Stunden, also fast 2 Tage.

Es wäre doch absurd, wenn wir nicht anfangen würden, diese beiden E-Systeme über das Thema primitiver Ladesäulen hinaus zusammenzudenken!

Die Hoppecke-Tochter Intilion (Paderborn/Zwickau) verkauft heute den Batteriecontainer (z.B. für Spitzenlastglättung) mit einer Nettokapazität von 1080 kWh für etwas unter 500.000 €, also etwa 450 €/kWh. Die Zellen werden sicher noch im Preis erheblich fallen, aber die Technik dahinter ist Standard und hat nur noch bedingt Kostensenkungspotenzial. Man schätzt, dass der Container im Laufe der Jahre evtl. noch bis 30 % billiger wird. Dann hätten wir also einen Preis von 315 €/kWh.

Wenn VW demnächst eine jährliche Batteriekapazität von 240 GWh aufbauen will, dann entspricht das bei 315 €/kWh einem Batteriewert von 75,6 Mrd. € pro Jahr! Dieses Volumen wird über den Mobilitätssektor finanziert und es kann ein erheblicher Teil davon für den Stromsektor zur Verfügung gestellt werden. Es wäre nicht rational, dieses Potenzial nicht zu nutzen und stattdessen im Stromsektor nochmal eigene Kapazitäten aufzubauen oder andere teure Kapazitätsreserven etwa mit Wasserstoff etc. zu schaffen, nur, weil wir nicht beide Systeme zusammendenken.

Um dieses Potenzial zu heben, sollte jetzt begonnen werden, das dafür notwendige regulatorische Umfeld zu schaffen:

  • im Rahmen der Förderung der E-Mobilität sollten Anreize gesetzt werden, VtG-fähige Fahrzeuge mehr zu fördern als andere.
  • Ladesäulen dürfen nur noch gefördert werden, wenn sie VtG-fähig sind.
  • Die Fahrzeughersteller müssen verpflichtet werden, Kommunikations-Schnittstellen zur Verfügung zu stellen, die den Ladezustand der Fahrzeuge abfragbar machen. Dabei sind jeweils die Vorgaben der Fahrzeugnutzer (Parkzeit, Restkapazität etc.) zu berücksichtigen.
  • Das Allerwichtigste aber ist: Wir brauchen für ein Funktionieren der Sektorkopplung generell und speziell auch hier endlich stark dynamisierte Strompreise, weil sonst keine Geschäftsmodelle entstehen können.

Johannes Lackmann, Paderborn, 12.04.21